In der heutigen Verfassung ist es unter dem Titel „Auswärtige Angelegenheiten“ die Wahrung der Unabhängigkeit, die an der ersten Stelle der Bundesaufgaben steht. (Art. 54 Abs. 2) Dieser Auftrag wird bei den Aufgaben der Bundesversammlung und des Bundesrates bekräftigt, wo jeweils von der „Wahrung der äusseren Sicherheit, der Unabhängigkeit und der Neutralität der Schweiz“ die Rede ist. (Art. 173 Abs. 1a und Art. 185 Abs. 1). Die Neutralität lässt sich dabei als Mittel zum Zweck der Behauptung von Unabhängigkeit und Sicherheit auslegen. Sie ist nicht Selbstzweck, wohl aber zweckgerecht.
Dieser Rang kommt der Neutralität weiterhin begründeterweise zu. Sie steht im Dienst des Unabhängigkeitsziels. Das ist und bleibt ihre traditionelle Rechtfertigung, so lange als Sicherheit und Unabhängigkeit des Landes keine anderen Mittel zur Zielerreichung erfordern.
Gewiss ist dies keine aktuelle Perspektive, aber immerhin eine vorstellbare Variante. Einen Beleg dafür könnte die jüngere Geschichte der drei Benelux-Länder (Belgien, Niederlande, Luxemburg) liefern. Alle diese europäischen Kleinstaaten waren vor dem Zweiten Weltkrieg neutral. Dennoch wurden sie von Nazi-Deutschland überfallen und besetzt. Nach dem Krieg schlossen sie sich dem gemeinsamen Sicherheitsdispositiv der NATO an. Sie sahen darin die beste Gewähr für die Erhaltung ihrer Sicherheit. Sie handelten gemäss ihrer Erfahrung.
In gleicher Weise handelte die Schweiz, die mit der Neutralität gute Erfahrungen gemacht hatte und daran festhielt. Sie tut sie dies weiterhin mit Fug und Recht; ein Anschluss an die NATO ist kein Thema, sicherlich nicht für die FDP. Der Vergleich mit den Benelux-Staaten zeigt jedoch, dass die Ziele von Unabhängigkeit und Sicherheit grundsätzlich höherrangig sind als die Mittel zu ihrer Erreichung, handle es sich um Neutralität oder um Allianzbindung. In solcher Sicht bedarf unsere Bundesverfassung keiner Korrektur.