Bereits die Umsetzungsschwierigkeiten bei der Verwahrungsinitative haben gezeigt, dass der Mechanismus der Selbstkontrolle strapaziert werden kann. Deshalb verlangte ich im Jahr 2006 in der nationalrätlichen Rechtskommission einen Bericht, der Vorschläge betreffend den Umgang mit Initiativen aufzeigen sollte, die gegen Völkervertragsrecht verstossen oder die faktisch oder rechtlich nicht umsetzbar sind. Die Kommission entschied sich damals nach intensiver Diskussion des Berichts, es einstweilen bei der bisherigen grosszügigen Praxis zur Ungültigkeitserklärung von Volksinitiativen bewenden zu lassen.
Für Volksinitiativen gibt es zwei inhaltliche Hürden: Sie müssen die zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts einhalten, und ihr Anliegen muss umsetzbar sein. Das zweite Kriterium ist zwar ungeschrieben, wird aber seit langem allseits anerkannt. Nur ein einziges Mal wurde ein Volksbegehren deshalb für ungültig erklärt: 1955 die Chevallier-Initiative, welche die Kürzung von Armeeausgaben für Rechnungsjahre verlangte, die bei Inkrafttreten bereits abgelaufen waren.
Im Bereich des Völkerrechts verfolgten die Bundesorgane stets eine klare Linie. Nur die völkerrechtlichen Bestimmungen, die nach Artikel 53 der Wiener Vertragskonvention zum ius cogens gehören, bilden eine materielle Schranke der Verfassungsrevision. Bundesrat und Parlament haben Anträge wiederholt ausdrücklich abgelehnt, zum ius cogens hinzu das gesamte Völkerrecht oder die nicht kündbaren völkerrechtlichen Verträge oder die faktisch zwingenden völkerrechtlichen Regeln, das heisst die rechtlich oder faktisch unkündbaren Verträge von erheblicher Tragweite, als materielle Schranke anzuerkennen.
Inzwischen haben auch die Unverjährbarkeits- und die Minarett-Initiative beim Volk eine Mehrheit gefunden. Das Dilemma spitzt sich somit zu, eine erneute Diskussion wird unumgänglich. Denn es ist weder der Demokratie noch der Rechstaatlichkeit förderlich, Initiativen zur Abstimmung zu bringen, die faktisch nicht umgesetzt werden können. Neue Lösungen und Vorstösse zur Vorprüfung von Volksinitiativen wurden lanciert. Interessant erscheint mir der von Professor Bernhard Ehrenzeller in der Neuen Zürcher Zeitung präsentierte Vorschlag über den Weg der allgemeinen Anregung.
Die Bundesverfassung (Art. 139 BV) sieht nämlich vor, dass Initiativbegehren entweder in Form der allgemeinen Anregung oder als ausformulierte Entwürfe ausgestaltet sein können. Stimmt die Bundesversammlung bei der allgemeinen Anregung dem Volksbegehren inhaltlich nicht zu, so wird die Initiative (nur) dem Volk zur Grundsatzabstimmung unterbreitet. Spricht sich eine Volksmehrheit für die Initiative aus, ist die Bundesversammlung verpflichtet, im Sinne der Initianten eine Verfassungsvorlage auszuarbeiten.
Nach Professor Ehrenzeller könnte die Lösung für den beschriebenen Konflikt nun darin bestehen, dass die Bundesversammlung ermächtigt wäre festzustellen, dass es keine Möglichkeit gibt, die Initiative «so, wie sie lautet», völkerrechtskonform umzusetzen. Dieser Feststellungsbeschluss hätte zur Folge, dass ein analoges Verfahren wie bei der allgemeinen Anregung zum Tragen käme. Das hiesse: Wenn das Volk dem Volksbegehren zustimmt, wäre das Parlament verpflichtet, einen entsprechenden Verfassungstext auszuarbeiten. Es wäre dabei an Artikel 5 BV, wonach das Völkerrecht zu beachten ist, gebunden. Die Bundesversammlung könnte also per Volksentscheid nicht gezwungen werden, verfassungswidrig zu legiferieren. Das Parlament müsste sich aber bei der Ausarbeitung einer völkerrechtskonformen Verfassungsvorlage soweit als möglich an den Initiativtext halten.