Volksschule am Anschlag: Zurück zum Bildungsauftrag
17 Handlungsfelder für eine chancengerechte und zukunftsorientierte Bildung unserer Kinder
Unsere Volksschule ist für den Kitt in der Gesellschaft, die Wirtschaft und den Erfolg der Schweiz von allergrösster Bedeutung. Nur wenn es uns gelingt, Kinder und Jugendliche aus verschiedenen gesellschaftlichen Schichten fundiert und praxisnah auszubilden, sind wir in der Lage, unser Land in eine gute Zukunft zu führen. Blicken wir auf unsere Geschichte zurück, so ist dies unseren Vorfahren sehr gut gelungen. Die Freisinnigen haben dabei eine Vorreiterrolle gespielt: Bereits in den 1830er-Jahren führten die Liberalen in jenen Kantonen, in denen sie damals an die Macht gelangt sind, die unentgeltliche Volksschule für Mädchen und Knaben ein. Das liberale Erfolgsmodell setzt voraus, dass jeder und jede die Möglichkeit zum sozialen Aufstieg hat. Das wiederum ist nur mit einer soliden Ausbildung möglich. Zudem bedingt auch das Verständnis eines liberalen Gesellschaftsmodells eine breite Bildung und Kenntnis unter anderem über die Aufklärung.
Dieses Erfolgsmodell ist seit jüngster Zeit gefährdet. Ein grosser Teil der Schülerinnen und Schüler – gemäss Studien[1] rund ein Viertel – kann inzwischen weder in der eigenen Landessprache korrekt schreiben noch einen Alltagstext verstehen. Trotz des täglichen und unermüdlichen Einsatzes vieler Lehrerinnen und Lehrer, sowie weiterer Fachpersonen, gerät die Volksschule in verschiedenen Kantonen und Gemeinden zunehmend an den Anschlag. Es ist an der Zeit, einige Fehlentwicklungen zu korrigieren. Die Volksschule soll nicht jeden gesellschaftlichen Trend aufnehmen, sondern wieder vermehrt das Erlernen der Grundkompetenzen ins Zentrum stellen. Damit stellen wir die Weichen für eine gute Zukunft unserer Kinder und Jugendlichen.
Die Volksschule muss sich heute mit allen möglichen gesellschaftlichen Themen befassen und hat allzu oft nicht mehr die Zeit, ihre Hauptaufgabe zu erfüllen: Die Vermittlung der Grundkompetenzen. Mit Lesen, Schreiben und Rechnen erhalten die Kinder ein stabiles Fundament, das sie befähigt, ein selbstbestimmtes Leben zu führen und aktiv an der Demokratie teilzunehmen. Solide Grundkompetenzen sind der Schlüssel, um die Chancengerechtigkeit sicherzustellen. Mit einer Entschlackung des Lehrplans kann die Fokussierung gefördert und der Überforderung der Kinder und Volksschulen entgegengewirkt werden.
In der Praxis hat sich die integrative Schule zu wenig bewährt. Sie benachteiligt unter den gegebenen Voraussetzungen die lernschwachen Kinder und hindert den Regelunterricht. Integration ist erstrebenswert, aber Inklusion um jeden Preis ist nicht zielführend. Vorhandene Schwächen bei Schülerinnen und Schülern müssen künftig wieder vermehrt gezielt und individuell angegangen werden können. Ebenso soll die Volksschule Kinder mit besonderen Begabungen entsprechend fördern. Die künstliche und sehr teure Gleichmacherei in Form einer ausnahmslosen Integration nützt niemandem und untergräbt die Chancengerechtigkeit.
Die FDP fordert ein transparentes und einfach anwendbares Bewertungs- und Beurteilungssystem, das die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler abbildet und Vergleiche ermöglicht. Es ist wichtig, die Fortschritte der Schulkinder zu überprüfen. Ideologisch motivierte Versuche, Noten abzuschaffen, sind abzulehnen. Das Leistungsprinzip ist wichtig für die Entwicklung der Resilienz der Kinder und somit für ihren weiteren Lebens- und Bildungsweg. Den Kindern soll in der Schule vermittelt werden, dass sich der Wert eines Menschen nicht an einzelnen Noten in einem Schulfach bemisst und dass Scheitern zum Leben dazugehört. Für die FDP ist klar: Jeder Mensch hat seine Stärken, kann seinen Weg finden und sich in die Gesellschaft einbringen. Zusammen mit gut ausgebildeten Berufsbildnern können dadurch Ausbildungs- und Lehrabbrüche vermieden werden. Dies ist im Interesse der Lernenden und der Unternehmen.
Kinder, welche die Unterrichtssprache (noch) nicht beherrschen, sind oft überfordert und beanspruchen die erhöhte Aufmerksamkeit der Lehrpersonen, so dass weniger Ressourcen für die anderen Kinder übrig bleiben und der Regelunterricht zu kurz kommt. Bevor fremdsprachige Kinder in die Volksschule eintreten, ist der Fokus deshalb konsequent auf das Erlernen der lokalen Sprache zu setzen. Auch Sonderklassen, die sich zunächst ausschliesslich auf den Spracherwerb konzentrieren, sind zu prüfen. Eltern von fremdsprachigen, in der Schweiz geborenen Kindern werden begleitet und ermutigt, mitzuhelfen, dass ihr Kind die Sprache vor dem Eintritt in die Volksschule lernt. Das Ziel: Kinder, die am Regelunterricht teilnehmen, sollen die Unterrichtssprache verstehen. Dies ist eine zwingende Voraussetzung für die Herstellung der Chancengerechtigkeit.
Auf Primarschulstufe muss das Erlernen der Erstsprache Priorität haben. Die abnehmenden Sprachkompetenzen in den lokalen Landessprachen sind ein Alarmsignal und sprechen für sich. Zweit- oder Fremdsprachen sollen erst vermittelt werden, wenn sie nicht das Erlernen der lokalen Erstsprache beeinträchtigen. Ein Ausbau der Sprachaufenthalte (Sekundarstufe) ist zu prüfen. Nebst dem effizienten Erwerb einer Landessprache, könnten Jugendliche dadurch auch die kulturelle Vielfalt der Schweiz erleben. Dies dient der nationalen Kohäsion. Falls eine Frühfremdsprache unterrichtet werden soll – so zum Beispiel in Brückenkantonen – ist eine Schweizer Landessprache zu priorisieren.
Anstand lässt sich bekanntlich nicht regulieren. Der Staat soll sich auch nicht in die elterliche Erziehung der Kinder einmischen. Doch gewisse Zustände in Schweizer Klassenzimmern sind unhaltbar. Das Lehrpersonal verdient Respekt – von den Kindern und von den Eltern. Für erfolgreiches Lernen braucht es Phasen der Ruhe und Struktur. Wir fordern einen aktiven Einbezug der Eltern und gezielte Sensibilisierungskampagnen. Den Führungskompetenzen der Lehrpersonen muss während der Ausbildung mehr Gewicht beigemessen werden. Zudem sollen Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger in der ersten Zeit gezielt begleitet werden (z.B. Mentoring durch die pädagogischen Hochschulen oder eine erfahrenen Lehrperson).
Die zunehmende Bürokratie an den Volksschulen muss auf das Wesentliche reduziert werden, denn sie geht zu Lasten des Kerngeschäfts: des Unterrichts. Dazu muss in einem ersten Schritt kritisch hinterfragt werden, auf welche Berichte und Formulare verzichtet werden kann. Formulare, die erhalten bleiben, sind zu vereinheitlichen: Es kann nicht sein, dass jede Schule eigene Formulare entwickeln muss. Ebenfalls sind die Möglichkeiten der Digitalisierung zu nutzen und die Prozesse regelmässig auf ihre Effizienz hin zu überprüfen.
Viele Schulen leiden unter akutem Fachkräftemangel. Die Politik und die Schulen müssen Anreize und Strukturen schaffen, damit Lehrpersonen vermehrt ihre Pensen erhöhen: Unterstützende Schulleitungen, heterogene Klassenzusammensetzungen zur Vermeidung hoch belasteter Klassen innerhalb einer Schule, Weiterbildung in der unterrichtsfreien Zeit, um die Schulwochen nicht zusätzlich zu befrachten, sowie die Vermeidung von Belastungsspitzen während der Schulwochen können dazu beitragen, dass Lehrerinnen und Lehrer wieder vermehrt Vollzeit arbeiten. Steuerliche Anreize, die Vollzeitarbeit unterstützen und nicht bestrafen, sowie die Einführung der Individualbesteuerung sind weitere Ansatzpunkte, um dem Arbeitskräftemangel zu begegnen. Die Ansätze, Quereinsteigende zuzulassen, bringen eine willkommene, kurzfristige Linderung. Es muss aber klar sein, dass Quereinsteiger weniger verdienen als ausgebildete Lehrpersonen, solange sie noch nicht über ein Lehrdiplom verfügen.
Innovationen entstehen in der Praxis und nicht in den Amtsstuben. Wir müssen den Ideenwettbewerb der einzelnen Schulen fördern und nicht durch Paragrafen verhindern. Wichtige Entscheide müssen dort gefällt werden können, wo mit den Kindern gearbeitet wird. Die Lehrperson – und nicht ein Funktionär oder Berater – weiss am besten, was ihre Schülerinnen und Schüler brauchen, um die Bildungsziele zu erreichen. Rückmeldungen aus der Praxis müssen stärker berücksichtigt werden und als Grundlage für Entscheidungen in der Bildungspolitik dienen. Wer mitgestalten kann, übernimmt zudem mehr Verantwortung und ist insgesamt zufriedener. Damit kann dem Fachkräftemangel entgegengewirkt werden und die Zufriedenheit an Schulen gesteigert werden.
Die Ausbildung (Grundausbildung, Weiterbildungen) an der pädagogischen Hochschule bereitet das (angehende) Lehrpersonal auf den Schulalltag vor. Die Lehrpläne sind realitätsnah und praxisorientiert auszugestalten. Bei der Rekrutierung von Dozierenden ist darauf zu achten, dass die Mehrzahl Praxiserfahrung mitbringt und zuvor erfolgreich unterrichtet hat.
Smartphones und andere elektronische Geräte (bspw. Smartwatches) beeinträchtigen die Aufmerksamkeit, das Lernen und die sozialen Beziehungen. Sie sind während des Unterrichts auszuschalten und wegzulegen.
Neben den vielen Vorteilen der Digitalisierung weisen Forschungsergebnisse inzwischen auch auf negative Auswirkungen auf den Wissenserwerb hin. Der Einsatz von digitalen Hilfsmitteln in der Schule muss überlegt und gezielt erfolgen und laufend den wissenschaftlichen Erkenntnissen angepasst werden. Ebenso zentral ist es, das Thema der Digitalisierung und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Kinder, Jugendliche und die Gesellschaft aktiv anzugehen (negative Auswirkungen auf die Psyche der Kinder, Cybermobbing, Defizite im Sozialen, Suchtverhalten, Umgang mit KI, Deepfake und Quellenüberprüfung).
Zur Stärkung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie bieten die Schulen Tagesstrukturen an. Die Angebote sind freiwillig und kostengünstig auszugestalten
Kinder und Jugendliche erhalten die Möglichkeit, ihre eigenen Fähigkeiten und die ganze Breite der Berufswelt zu entdecken. Dazu werden die Vorteile der verschiedenen Bildungswege (Berufslehre, Berufsmaturität, Gymnasium etc.) den Kindern und Eltern frühzeitig und neutral vermittelt. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf die Vermittlung von schweizerischen Besonderheiten (z.B. duales Bildungssystem) für zugezogene Eltern und Kinder gelegt. Wichtig ist auch, dass die Schule weiterhin Kompetenzen vermittelt, die für handwerkliche Berufe und damit für den Werkplatz Schweiz wichtig sind.
Die Geschichte und das politische System der Schweiz dürfen nicht vernachlässigt werden. Nur wenn die Kinder und Jugendlichen unser Land verstehen, erhalten sie das Rüstzeug, um mündige und aktive Teilnehmende unserer Demokratie zu werden.
Die persönliche politische Meinung bilden sich Kinder und Jugendliche selbst. Die Vermittlung des Unterrichtsstoffes erfolgt deshalb möglichst neutral und die Medienkompetenz sowie schliesslich das eigene Urteilsvermögen sind zu stärken. Lehrmittel, deren Inhalte eine einseitige oder eine ideologisch geprägte Sichtweise vermitteln, haben keinen Platz in der Volksschule. Die Verbreitung von fragwürdigen Ideologien und Weltanschauungen hat in der Volksschule keinen Platz. Es braucht Transparenz seitens der Schulen über Organisationen, die im Unterricht auftreten oder mit denen Projekte durchgeführt werden. Schweizer Werte und Tugenden, die unser Land seit Jahrhunderten prägen und erfolgreich machen, sollen gefördert werden. Dazu gehören Verantwortungsbewusstsein, Anstand oder Selbständigkeit.
Fundamentalismus hat keinen Platz an unserer Volksschule. Niemand darf sich unter Berufung auf seine kulturelle und religiöse Identität über andere stellen oder unsere offene Gesellschaft ablehnen. Gewalttätige, homophobe, sexistische Übergriffe auf Lehrpersonen oder Schüler religiös oder anderweitig ideologisch motivierte, sind zu verhindern. Deshalb dürfen problematische Tendenzen keinesfalls aus Rücksichtnahme tabuisiert werden, sondern sind frühzeitig und offen anzusprechen. Das braucht oftmals Mut. Lehrpersonen müssen darauf sensibilisiert werden und es braucht geeignete Meldestellen, um Probleme frühzeitig zu erkennen.