Wer arbeiten will, darf nicht bestraft werden

 

geschrieben von Ignazio Cassis, Nationalrat TI

20130219
Das Bundesamt für Sozialversicherungen gibt sich bei der Sanierung der IV gute Noten. Die Bilanz für das Jahr 2013 macht auf den ersten Blick einen positiven Eindruck: Einnahmen von 9,8 Milliarden Franken standen Ausgaben von 9,3 Milliarden Franken gegenüber, wodurch ein positives Betriebsergebnis von rund 500 Millionen Franken resultierte. Dieses Ergebnis konnte jedoch nur dank einer Zusatzfinanzierung durch die bis 2017 befristete Erhöhung der Mehrwertsteuer von 1,1 Milliarden Franken sowie der Übernahme von Sonderschuldzinsen in der Höhe von knapp 200 Millionen Franken durch den Bund erzielt werden. Ohne diese hätte die IV im Jahr 2013 mit einem Defizit von 800 Millionen Franken abgeschlossen. Damit zeigt sich: Auch zwei Jahre nach der Inkraftsetzung der IV-Revision 6a ist die IV vom Sanierungsziel weit entfernt.

 

 

 

Dank der Revision 6a konnten Personen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen ins Arbeitsleben (zurück)geführt werden, aber lange nicht so viele wie erwartet. Dass 12'000 gewichtete Renten wegfielen, ist nur auf die IV-Revisionen 4 und 5 zurückzuführen, die sich stärker auswirkten als erwartet.

 

Was ist also zu tun? Die einzige Lösung ist ein erneuter Versuch das Reformpaket «4+5+6» abzuschliessen. Nur so kann diese wichtige staatliche Sozialversicherung endgültig saniert werden. So wurden nach dem Scheitern der Revision 6b im Parlament mehrere Motionen eingereicht (13.3641; 13.3990; 13.4060), um den Scherbenhaufen IV-Revision aufzuräumen. Der Bundesrat soll nun so schnell wie möglich eine neue Vorlage ausarbeiten, damit die IV für Invalide endlich wieder eine verlässliche Sozialversicherung ist. Wichtige Elemente der Reform sind die Schuldentilgung, die Eingliederungsmassnahmen und das lineare Rentensystem.

 

Wo liegen denn die grössten Probleme bei der IV? Einerseits nützt es wenig, Menschen mit einer Behinderung zum Arbeiten aufzufordern und sie auch dabei zu unterstützen, wenn man ihnen danach mehr von ihrer Rente abzieht, als sie neu verdienen. Jeder vernünftig denkende Mensch wird sich so hüten arbeiten zu gehen. Solche Schwelleneffekte haben in einer modernen Sozialversicherung nichts mehr zu suchen.

 

Andererseits muss der Missbrauch des Systems konsequent und hart bekämpft werden: Sowohl Arbeitsnehmer wie auch Arbeitgeber sollen ehrlich mit dieser Sozialversicherung umgehen. Dies umfasst eine periodische Prüfung der Renten, welche auch Kontrollen umfassen und eine harte Bestrafung bei erwiesener Schuld. Wer sich auf Kosten der Allgemeinheit bereichert, darf nicht mit einem Klaps auf die Hand davon kommen. Weiter soll vor allem die zunehmende Zahl von Jugendlichen mit subjektiven Leiden genau abgeklärt werden, damit diese nicht automatisch mit psychiatrischen Diagnosen stigmatisiert werden. Diese haben in den letzten 20 Jahren um fast das Zehnfache zugenommen – da stimmt doch etwas nicht. Sichern wir für die Schwächsten in unserer Gesellschaft die Invalidenversicherung. Das sind wir ihnen schuldig.

 

(erschienen auf Politblog am 25. August 2014)