Die Unternehmens-Verantwortungs-Initiative, kurz UVI, ist eine delikate Angelegenheit. Sie greift ein Thema auf, das für uns Schweizer einen hohen Stellenwert geniesst: das korrekte Verhalten dem Anderen gegenüber. Uns Schweizern ist es wichtig, hart verhandeln zu dürfen und erfolgreich zu sein. Aber wir erwarten, dass man uns respektvoll behandelt und sich ehrlich verhält. Das prägt nicht nur unseren Alltag. Das zeichnet die Schweiz auch als Standort vieler wichtiger, internationaler Organisationen aus, die sich aktiv dafür einsetzten, dass sich ärmere Länder und benachteiligte Bevölkerungsgruppen gegen eine ungerechte Behandlung wehren können. Auf diese Tradition sind wir stolz. Sie ist uns wichtig.
Kein Wunder also, gibt es niemanden, der die Forderungen der Wahrung der Menschenrechte und des Umweltschutzes der Initiative in Frage stellt.
Die Unternehmens-Verantwortungs-Initiative und die Respektlosigkeit
Umso mehr erstaunt es, zu welchen Mitteln die Befürworter der UVI in ihrer Abstimmungskampagne greifen. Sie verdrehen nicht nur Fakten so, dass es ihnen passt. Sie gehen weiter als die meisten Wahl- und Abstimmungskämpfer es vor ihnen taten. Sie verhalten sich von Grund auf respektlos. Ein paar Beispiele gefällig?
Niemand erträgt es, ein Kind leiden zu sehen. Weinenden Kinderaugen in Weltformat an unserem Hauptbahnhöfen sehen zu müssen und selbst nicht direkt helfen zu können, bricht mir das Herz. Was aber, wenn feststeht, dass es sich dabei um eine Collage handelt? Wenn das Mädchen auf einem Sportplatz fotografiert wurde und später mit Photoshop zur Miene hinzugefügt wurde? Wenn das Plakat eine grossformatige Täuschung ist?
Unmoralisch ist auch die Einmischung der Kirchen in den Abstimmungskampf. Kirchen sind öffentlich-rechtliche Institutionen und damit zur Neutralität verpflichtet. Sie haben im politischen Abstimmungskampf nichts zu suchen, es sei denn, sie sind direkt betroffen. Dass sie trotzdem einen teilweise durch Kirchensteuern finanzierten, aktiven Wahlkampf betreiben, ist stossend. Ich bin froh, haben die Jungfreisinnigen gegen diesen Aktivismus Klage eingereicht.
Im Vergleich dazu scheint der Fall, der mich selbst betrifft, eine Lappalie zu sein. Und doch ist unehrlich, wenn die Befürworter mutwillig Falsch-Werbung auf Facebook schalten. Wenn dort das eigene Bild mit einer Aussage verbunden wird, hinter der man nie so stehen würde, ist dies mehr als ärgerlich.
Letzte Woche dann der vorläufige Höhepunkt. Um ihrer Sache zusätzlich Gewicht und Glaubwürdigkeit zu verleihen, organisierten die Befürworter einen schweizweiten Hauswurf unter dem Deckmantel der «Schweizer Illustrierten» und «Le Matin Dimanche». Nicht nur, dass dies eine ungemein kostspielige Angelegenheit war. Das Logo von renommierten Schweizer Marken für ein eigenes Flugplatt zu verwenden, um es so aussehen zu lassen, es käme von ihnen, ist eine dreiste Irreführung. Kein Wunder, dass die Verlagshäuser erwägen, in der Angelegenheit vor Gericht zu ziehen.
Moral predigen, rücksichtslos agieren? Nein zur UVI!
Mein Fazit ist so tragisch wie ernüchternd. Die Befürworter der UVI schwingen die Moralkeule, aber selbst scheren sie sich einen Dreck um Ehrlichkeit und Respekt. Eigentlich ein wenig wie bei der Initiative selbst. Auch sie verlangt von Schweizer Unternehmen die grösstmögliche Sorgfalt, will diese aber mit Instrumenten umsetzen, die von unserem Verständnis von Recht und Ethik nicht weiter entfernt sein könnten. Mein Nein zur Initiative ist entsprechend bereits per Post unterwegs zur Urne.
Schliesslich muss uns allen klar sein, dass Ehrlichkeit die Essenz der Demokratie ist. Vor allem unserer direkten. Verliert der Staat seine Glaubwürdigkeit, verliert er auch seine Legitimität. Wenn der Bürger und die Bürgerin der Politik nicht mehr vertrauen, wozu sollen sie dann noch abstimmen und wählen gehen? Halten wir unsere wertvollen politischen Traditionen hoch, um die uns so manches Land beneidet. Pflegen wir den Dialog und das zivilisierte Gegeneinander, damit wir auch weiterhin unser Leben gemeinsam gestalten können. Ehrlich währt immer noch am längsten.
Ruedi Noser, Ständerat ZH