Petra Gössi, Parteipräsidentin zu sein, ist ein Verschleissjob. Sie wirken gar nicht müde. Dabei waren die letzten 4 Jahre alles andere als ruhig.
Stimmt, langweilig wurde es mir nie (lacht). Dass wir etwa bei den Volksabstimmungen so oft gewonnen haben, war auch das Ergebnis viel harter Arbeit. Hinzu kamen zwei Bundesratswahlen und diverse Grossprojekte. Aber die Arbeit macht mir viel Freude.
Was ist Ihre Motivation, noch einmal anzutreten?
Ich spüre noch immer ein Feuer, die Zukunft dieser Partei zu gestalten. Wenn das nicht mehr vorhanden wäre, wäre ich nicht mehr angetreten. Ich bin aber auch überzeugt, dass wir als FDP, als liberale Kraft, in den kommenden Jahren gemeinsam noch viel erreichen können. Die Wahlen mögen kurzfristig ein Dämpfer gewesen sein. Aber ich bin überzeugt: Die FDP ist auf gutem Weg.
Sie haben es angetönt: Vor den Wahlen war die FDP lange auf dem Erfolgspfad, musste aber in den Wahlen 2019 teilweise schmerzliche Verluste hinnehmen. Was hat die Partei falsch gemacht?
Ja, die Verluste schmerzen. Wir sind im Moment daran, die Ergebnisse der Wahlen im Detail bis April aufzuarbeiten und den zuständigen Gremien präsentieren. Einiges kann jetzt schon aber festhalten: Die mediale Debatte ging komplett neben den Prioritäten der Bevölkerung vorbei und hat zu einem monothematischen Wahlkampf geführt. Dies hat uns geschadet. Dann konnten wir aber auch nicht überall gleich gut mobilisieren. In einigen Kantonen gelang es, ein liberales Feuer zu entfachen – etwa in Fribourg, wo es Johanna Gapany in den Ständerat schaffte. Es gab aber leider auch zu viele negative Beispiele. Und wenn schlecht mobilisiert wird, kann man nicht gewinnen. Das zeigt einmal mehr: Wir müssen auf die Strasse, zu den Menschen und mit ihnen sprechen. Wir müssen wieder kämpferischer werden.
Wahlanalysen zeigen, dass die Rückbesinnung auf eine liberale Umweltpolitik richtig gewesen ist. Hätte es das vielleicht früher gebraucht?
Dass es Handlungsbedarf in diesem Themenbereich gibt, war schon länger klar. Idealerweise hätte man den Beschluss, die Basis mit einer Umfrage einzubeziehen, schon früher gefällt. Wegen zwei Bundesratswahlen und einer wichtigen Abstimmung zur Altersvorsorge konnten wir dieses enorm aufwändige Projekt aber nicht früher in Angriff nehmen. Doch lieber spät als nie, denn ohne eine belastbare, demokratisch abgestützte Position in der Umweltpolitik wäre es schlimmer für uns gekommen. Nun konnten wir grössere Wählerverluste verhindern. Wir konnten sogar mehr Neuwähler hinzugewinnen als 2015.
Die Themen Umwelt, Klima und Energie dürften wichtig bleiben. Ist die FDP für 2023 besser aufgestellt?
Wir müssen den Menschen in jedem Themenbereich liberale Lösungen bieten. Die Rückbesinnung auf unsere liberale Umweltpolitik ist eine Investition in die Zukunft. Daher ja, wir sind für die Zukunft besser aufgestellt. Sorgen bereitet mir eher das grössere Bild: Mit der Wahl 2019 ist die Parteienlandschaft noch fragmentierter und polarisierter geworden. Damit wird die Mehrheitsfindung schwieriger. Zudem war nicht gut, dass die Parteien im Umfeld der «grünen Welle» in der öffentlichen Diskussion mit anderen Themen nicht durchdringen konnten.
Sie sagen, es sei schwierig gewesen, im Wahljahr mit anderen Themen als Umwelt & Klima medial durchzudringen. Erfüllen die Medien ihre Rolle noch?
Die Frage ist, was mit den Medien als vierte Gewalt im Staat heute passiert. Das ist kein Angriff auf den Journalismus oder eine Kritik an der Arbeit vieler Journalisten, aber es findet eine Strukturveränderung statt. Die Leute lesen weniger Zeitung, hören weniger Nachrichten, schauen weniger Tagesschau – insbesondere junge Menschen. Wir als Partei müssen uns fragen, wie wir mit unseren Inhalten wieder die breite Bevölkerung erreichen – auch diejenigen, die sich nicht mehr über die Medien informieren. Nur so kann die Demokratie ihren Zweck erfüllen.
Wohin wollen Sie mit der FDP in den kommenden Jahren?
Ich will, dass wir für die grossen Herausforderungen unseres Landes tragfähige Lösungen finden: den Wirtschaftsstandort, die Sozialwerke und das Gesundheitswesen, sowie Umwelt und Klima. Dazu will ich eine Aufbruchstimmung in unserer Partei wecken. Ich will die liberalen Kämpferinnen und Kämpfer aktivieren. Wir Freisinnige und all unsere Exponenten müssen für unsere Überzeugungen und liberalen Positionen noch klarer hinstehen und kämpfen. In einem Wort: Ich will Aufbruch.
Werden wir konkreter. Altersvorsorge, Gesundheitskosten, Beziehungen zur EU: Es herrschen Reformstau und Blockade. Wie ist es möglich, wieder Bewegung ins System zu bringen?
Bei den Sozialwerken und im Gesundheitswesen müssen wir einen breiten Konsens finden, wie wir das alles finanzieren. Die Linke sagt auch bei den Gesundheitskosten immer: Der Staat muss zahlen. Was sie damit tatsächlich meint, ist: Die Steuerzahler, wir alle, zahlen das. Die CVP-Initiative taugt nicht viel mehr: Sie benennt zwar ein Problem, aber schlägt absolut keine Lösungen vor. Wir haben 2019 ein erstes Papier vorgelegt entlang der Leitlinie Qualität-Effizienz-Eigenverantwortung. Und wir werden in nächster Zeit nachlegen.
Auch im Bereich der Altersvorsorge muss rasch gehandelt werden und auch hier haben wir Lösungen. Wir müssen endlich die strukturellen Probleme angehen und reinen Wein einschenken. Auch das ist eine Frage der Generationengerechtigkeit. Wir müssen auf neudeutsch «out of the box» denken und uns nicht vor unbequemen Diskussionen fürchten, genau wie das Philipp Müller gemacht hat, als er die Idee der Abschaffung des Rentenalters letzten Herbst aufgebracht hat.
Dann müssen wir uns auch bewusst sein, dass unser Wohlstand in der Schweiz nicht gottgegeben ist. Ein selbstbestimmtes Leben führen kann nur, wer auch einen Job hat. International verdüstert sich die Lage. Wenn wir den Wirtschaftsstandort Schweiz stark halten wollen, müssen wir uns um Bildung und Forschung, Aussenhandelspolitik, Migration, moderne Arbeitsplatzmodelle und die Beziehungen zur europäischen Union kümmern.
Im Bereich Klima und Umwelt ist klar: Wir wollen auch in Zukunft eine Lebensgrundlage haben und dürfen dabei nicht Klima, Umweltschutz und Energiebedarf gegeneinander ausspielen. Wir haben unsere Vorschläge präsentiert und werden konsequent weiterarbeiten, um zu verhindern, dass unter dem grünen Vorwand plötzlich rote Rezepte eingeführt werden. Die Grünen wollen erneuerbare Energien, wehren sich aber gegen einen Ausbau der Wasserkraft oder gegen neue Windräder. Will man die Energiewende, muss man auch ehrlich sein. Oder man gibt einfach zu, dass man zurück in die Steinzeit will.
Die FDP hat 2019 erstmals systematisch und im grossen Stil Door-to-door-Wahlkampf betrieben- Sie waren einige Male selbst unterwegs. Hat sich die Methode ausbezahlt? Wie geht es mit dem Team FDP weiter?
Der Haustürwahlkampf steht für das, was ich vorher erwähnte: Aufbruch. Mit den Leuten sprechen. Kämpfen. Wir haben 2019 damit begonnen, aber wir werden das Instrument noch verfeinern und noch breiter einsetzen. Noch sind wir daran, die Analysen zu erstellen. Aber die Rückmeldungen sagen von allen Seiten: Es hat sich gelohnt. Der direkte Kontakt kommt bei der Bevölkerung gut an und erlaubt uns, die Probleme der Menschen besser zu verstehen und schneller zu erkennen. Das deckt sich übrigens völlig mit meinen persönlichen Erfahrungen.