Kürzlich wurde ich gefragt, warum man erneut mit der Europäischen Union verhandeln sollte, obwohl «in der Schweiz alles so gut läuft». Wir brauchen allerdings neue Verhandlungen mit der EU, um die bilateralen Abkommen zu aktualisieren. Denn dank den bilateralen Verträgen, die seit mehr als 20 Jahren in Kraft sind, «läuft in der Schweiz alles gut».
Derzeit kann ein Unternehmen, das seine Produkte in der Schweiz herstellt, diese ohne weitere Konformitätsprüfung in allen Mitgliedstaaten der EU verkaufen, dank dem freien Waren- und Güterverkehr. Wird dieses Abkommen nicht aktualisiert, muss das in der Schweiz hergestellte Produkt in jedem EU-Land, in dem das Schweizer Unternehmen es verkaufen möchte, eine Zulassungsprüfung bestehen. Das bedeutet zusätzliche Kosten und Zeitverlust mit weitreichenden Folgen für die Konkurrenzfähigkeit des Unternehmens.
Das Unternehmen könnte in diesem Fall die Produktion in ein EU-Land zu verlegen, um Zugang zur ganzen EU zu erhalten. Folglich gäbe es weniger Innovationen und Arbeitsplätze in der Schweiz. Gleichzeitig gäbe es weniger Konsumenten, die in der Schweiz Geld ausgeben. Dieser Wirtschaftskreislauf würde sich ohne bilaterale Verträge deutlich verschlechtern.Um die Bedeutung dieser Handelsbeziehungen zu verdeutlichen, sei daran erinnert, dass allein unsere Exporte nach Baden-Württemberg, jene nach China übersteigen.
FDP-Bundesrat und Aussenminister Ignazio Cassis, ist sich dessen bewusst und arbeitet auf ein neues Verhandlungsmandat hin. Der Bundesrat hat nun allerdings beschlossen, diese Entscheidung auf die Zeit nach den Wahlen zu verschieben.
Die Kantone hingegen haben die Dringlichkeit erneuter Verhandlungen mit der EU erkannt: Sie beschlossen diesen Frühling einstimmig, dass «eine neue Etappe eingeleitet werden muss, um die Stabilität und die Weiterentwicklung der bilateralen Abkommen zu gewährleisten». Auch die Wirtschaft versteht, was mit Untätigkeit riskiert wird: Sie fordert vehement, dass bestehende Abkommen aktualisiert und neue Abkommen in Betracht gezogen werden. Unsere Hochschulen und die Schweizer Forschung leiden bereits darunter nicht mehr Vollmitglied der europäischen Programme Horizon und Erasmus zu sein.
Die grundlegenden Elemente des Lohnschutzes und sozialverträgliche Bedingungen müssen gesichert werden. Das sind sie auch innerhalb der EU. Jedes Land bekämpft Schwarzarbeit und Lohndumping, obwohl auch innerhalb der EU teilweise unterschiedliche Lohnniveaus herrschen. Mehrere Länder kennen nationale Gesetzgebungen, die von der EU anerkannt sind und Mindestlöhne festlegen, wie es unsere Gesamtarbeitsverträge in der Schweiz tun.
Nehmen wir also die Verhandlungen wieder auf und ermöglichen wir unserem Land und seiner Bevölkerung, dass es in der Schweiz dank bilateraler Abkommen weiterhin gut läuft.
Laurent Wehrli, Nationalrat (VD)