Die Bevölkerung wird älter, der Pflegebedarf steigt, gleichzeitig gehen in den nächsten Jahren die Babyboomer in Pension und es werden vermehrt Fachkräfte fehlen. Dies alles wird den bereits bestehenden Mangel an Pflegepersonal noch verstärken. Handlungsbedarf ist unbestritten. Die gewerkschaftliche Pflegeinitiative ist jedoch der falsche Weg, um eine schnelle und nachhaltige Verbesserung in der Pflege zu erzielen.
Keine Sonderstellung für eine Berufsgruppe
Die Pflegeinitiative will insbesondere Arbeitsbedingungen und Löhne für den Pflegeberuf in der Verfassung festhalten. Dies ist sowohl formell als auch inhaltlich falsch: Denn weder ist die Verfassung dafür der richtige Ort, noch ist es Aufgabe des Bundes, die Löhne einzelner Branchen zu regeln. Vielmehr sind es die Sozialpartner, die in unserem bewährten System miteinander Arbeitsbedingungen und Löhne aushandeln. Eine Übersteuerung mit zentralistischer Regelung durch den Bund wäre ein gefährlicher Präzedenzfall. Ähnlich lautende Forderungen von anderen Berufsgruppen würden nicht lange auf sich warten lassen.
Ebenfalls nicht opportun ist es, dass auf Bundesebene definiert wird, was eine «genügende Anzahl Pflegefachpersonen» ist, wie dies die Initiative verlangt. Wer kann wissen, wie sich diese Zahl über die Zeit verändert und in welchen Bereichen welcher Bedarf besteht? Im Gesundheitswesen ist im Moment vieles in Bewegung – richtigerweise. Stichwort ist «ambulant vor stationär», die Umsetzung von Behandlungskonzepten, die einen Spitalaufenthalt nicht mehr nötig machen. Es wird somit pflegerische Unterstützung vermehrt nicht mehr in den Spitälern, sondern allenfalls in der Spitex brauchen. Da macht es keinen Sinn, wenn man auf Bundesebene sogenannte «Nurse-to-Patient-Ratios» für Bereiche definiert, wo sie nicht mehr zur Anwendung kommen.
Noch höhere Krankenkassenprämien?
Initiative und indirekter Gegenvorschlag sehen vor, dass Pflegefachpersonen künftig Leistungen selbständig, das heisst ohne ärztliche Anordnung, erbringen und direkt mit der Krankenversicherung abrechnen können. Diese Kompetenzerweiterung ist sinnvoll, weil sie den Beruf aufwertet und damit attraktiver macht. Allerdings bedeuten mehr Leistungen auch höhere Kosten und damit höhere Krankenkassenprämien. Hier sieht der indirekte Gegenvorschlag einen Kontrollmechanismus vor, der ein übermässiges Kostenwachstum verhindert – die Initiative hingegen nicht. Auch um ein unkontrolliertes Kostenwachstum zu verhindern, ist
deshalb die Pflegeinitiative abzulehnen.
Indirekter Gegenvorschlag als bessere Lösung
Wer die Pflegeinitiative ablehnt, sagt aber nicht Nein zum berechtigten Anliegen. Ganz im Gegenteil: Er sagt Ja zum Gegenvorschlag, den das Parlament beschlossen hat und der den Initianten sehr weit entgegenkommt. Er ist vor allem aber unmittelbar anwendbar und bringt genau dort eine Lösung, wo diese dringend ist, nämlich bei der Ausbildung von diplomierten Pflegefachpersonen. Konkret wurden Mittel in der Höhe von einer Milliarde Franken für die nächsten acht Jahre beschlossen, um Ausbildungsplätze zu schaffen und Unterstützung für Studentinnen und Studenten zu leisten. Das sind Anreize, die effektiv etwas bewirken können. Richtigerweise bleibt aber die Verantwortung für die Umsetzung dieser Ausbildungsoffensive bei den Kantonen; sie sind zuständig für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung.
Der indirekte Gegenvorschlag – indirekt, weil er eine Lösung in einem Gesetz vorsieht und nicht in der Verfassung wie die Initiative das verlangt – tritt bei Ablehnung der Initiative sofort in Kraft. Bei einer Annahme der Initiative müsste hingegen vom Parlament ein Umsetzungsgesetz erarbeitet werden. Das dauert mehrere Jahre. Aus diesem Grund empfehle ich Ihnen ein Nein zur Pflegeinitiative. Dies macht den Weg frei für den besseren, schnelleren indirekten Gegenvorschlag.
Regine Sauter, Nationalrätin ZH